Montag, 14. Mai 2018
Mit Zuckern Krebszellen gezielt finden
Nanomedizin
Krebs ist weltweit die zweithäufigste Todesursache, auch weil Chemotherapeutika oft in zu geringer Konzentration am Tumor ankommen. Die NIM-Wissenschaftlerin Prof. Olivia Merkel und ihr Team entwickeln zielgerichtete Nanocarrier, die spezifisch an Krebszellen binden und so die Aufnahme in die Zielzelle verbessern.
Die Therapie von Tumoren steht immer noch vor einigen Grenzen. Besonders schwierig ist es, eine ausreichend hohe Konzentration des Chemotherapeutikums am Tumorgewebe anzureichern. Bevor eine konventionell verabreichte, intravenöse therapeutische Formulierung ihr Ziel erreicht, muss sie einige Hürden überwinden. So ist die Halbwertszeit des aktiven Wirkstoffes im Blut meist relativ kurz, und ein erheblicher Anteil des verbleibenden Präparats akkumuliert in nicht-Zielgeweben und führt dort zu unangenehmen und unerwünschten Nebenwirkungen.
Deswegen hat sich die Gruppe von Professor Olivia Merkel auf die Entwicklung von stabilen und zielgerichteten Nanocarrier-Formulierungen , sowie alternative Verabreichungswege spezialisiert. Ein Ansatz ist es, bestimmte Zucker-Rezeptoren, die auf vielen Tumorzellen exprimiert werden, anzusteuern. Beispiele sind der Mannose- und der Mannose-6-Phosphat-Rezeptor. In ihrer neuen Publikation in
Advanced Healthcare Materials geben sie einen guten Überblick über das Feld allgemein und zeigen erste Ergebnisse dieser neuen Targeting-Strategie.
Mannose für Tumorzell-spezifische Drug Delivery
Jede menschliche Körperzelle hat ein Zelltyp-spezifisches Repertoire von Oberflächen-Rezeptoren, um die Aufnahme aller nötigen Nährstoffe zu gewährleisten. Durch ihre schnelle Proliferation ist dieser Bedarf in Tumorzellen deutlich größer als in normalen Zellen, und sie zeigen eine sehr hohe Affinität an Kohlenhydrate. Einige Tumorzellen exprimieren zum Beispiel vermehrt Mannose- und Mannose-6-Phosphat-Rezeptoren für die effiziente Endozytose dieser Zucker für die intrazelluläre Energieproduktion.
Mannose besitzt also ein großes Potential als Tumorzell-spezifischer Ligand für die zielgerichtete Anreicherung von (chemo)therapeutischen Nanocarriern. Am besten lässt sich der Ansatz mit dem „Schlüssel-Schloss-Prinzip“ erklären: Der Mannose- bzw. Mannose-6-Phosphat-Rezeptor auf der Zelloberfläche repräsentiert das Schloss und der Mannose-Ligand auf dem Nanocarrier den passenden Schlüssel. Nach der Bindung wird der komplette Komplex endozytiert. Diese Form der Aufnahme in die Zielzelle kann man sich folgendermaßen vorstellen: Aus der Zellmembran bildet sich eine nach innen ins Zytosol gerichtete Knospe, die auch den Komplex mit einschließt.
„In unseren Experimenten konnten wir einen signifikanten Anstieg in der Aufnahme von mannosylierten Nanocarriern zeigen im Vergleich zu nicht-modifizierten Partikeln,“ erklärt Merkel. „Die Mannose-Rezeptor-vermittelte Endozytose ermöglicht nach der Bindung die aktive Aufnahme von (mit Medikamenten) beladenen Nanocarrieren spezifisch in Tumorzellen.“
Immuntherapie und gentherapeutische Ansätze
Die Expression des Mannose-Rezeptors auf der Oberfläche von Antigen-präsentierenden Zellen (APZs) eröffnet eine weitere Möglichkeit der Tumortherapie. APZs sind die Immunzellen, die durch die Aktivierung der entsprechenden Lymphocyten (weiße Blutkörperchen) eine direkte Antwort durch das Immunsystem auslösen können. Im Verlauf werden die Tumorzellen direkt angegriffen und es entwickeln sich sogenannte Gedächtniszellen für eine langfristige Abwehr. Im Gegensatz dazu agiert der im Detail untersuchte Mannose-6-Phosphat-Rezeptor auch als Tumorsuppressor und somit als neues mögliches Target für gezielte Therapien.
Nanocarrier Formulierungen für APZ-Targeting können zum Beispiel mit Nukleinsäuren beladen werden („Gen-Therapie“), die für bestimmte Gene kodieren oder mit einem Mix verschiedener RNA-Fragmente. Nach der erfolgreichen Aufnahme in die APZs, werden diese Tumor-Antigene den Lymphozyten präsentiert, und veranlassen eine schnelle und Tumorzell-spezifische Immunantwort. Ein solcher Immunzell-basierter therapeutischer Ansatz wird auch als Immuntherapie bezeichnet. Neben der schnellen Immunantwort wird durch professionelle APZs auch eine langfristige anti-tumorale Immunantwort aktiviert, oft auch als „Krebs-Impfung“ bezeichnet.
Vorteile von Nanocarriern
Funktionalisierte Nanocarrier mit eingeschlossenem Chemotherapeutikum bieten einige Vorteile gegenüber den gängigen konventionellen Präparaten. Durch das Beladen der Medikamente in eine Carrier-Struktur verbessert sich deren Löslichkeit und die Wirkstoffe werden stabilisiert und abgeschirmt. Die Bioverfügbarkeit wird durch die verlängerten Zirkulationszeiten also drastisch verlängert im Vergleich zu freiem Pharmakon.
Das aktive Targeting mittels Oberflächen-Liganden erhöht die Spezifität gegenüber Tumorzellen und die örtliche Verfügbarkeit des aktiven Wirkstoffes, sowie die Stimulation von APZs für innovative Immuntherapie-Ansätze. Zusätzlich kann durch einen solchen Ansatz die Akkumulation in nicht-Zielgeweben verringert werden und es besteht keine Dosis-Limitierung mehr im Gegensatz zu konventioneller Therapie. Im Gegenteil, durch die zielgerichtete Ansteuerung des Tumors kann die Wirkstoffdosis generell reduziert werden.
Neben Chemotherapeutika können auch verschiedene Sonden für Bildgebungsmodalitäten mit in den Nanocarrier eingeschlossen werden. Dadurch wird es zum Beispiel möglich, Tumorgewebe und Metastasen nicht-invasiv zu lokalisieren. Solche bi-funktionalen, therapeutischen und diagnostischen Formulierungen werden auch als ‚Theragnostics‘ bezeichnet. (IA)
Publikation:
Mannose and Mannose-6-Phosphate Receptor-targeted Drug Delivery Systems and their application in Cancer Therapy. Vedove ED, Costabile E, Merkel OM. Adv Health Mat 2018, doi:10.1002/adhm.201701398
Kontakt:
Prof. Dr. Olivia Merkel
Lehrstuhl für Pharmazie
Pharmaceutical Technology and Biopharmacy
Ludwig-Maximilians-Universität München
Butenandstraße 5-13, Haus B
D - 81377 München
Tel: +49 (0)89 2180 77025
E-Mail: olivia.merkel(at)lmu.de